Akupunktur
Bericht von Fatma Mirjam Ormeloh
Die Akupunktur ist das wichtigste Teilgebiet der Traditionellen Chinesischen Medizin. Seit 1975 breitet sie sich im Humanbereich auch immer mehr im Westen aus und wird seit 25 Jahren wissenschaftlich intensiv erforscht: Aus der ehemals exotischen Außenseitermethode ist eine anerkannte Standardtherapie gegen chronische Schmerzen geworden. Auch im veterinärmedizinischen Bereich wird Akupunktur immer mehr eingesetzt. Tierärzte, die diese Zusatzausbildung gemacht haben, findet man unter www.ggtm.de und www.vet-akupunktur.de .
Nadeln gegen die Allergie
Bei Husten, Durchfall und anderen Erkrankungen hilft Akupunktur als ganzheitliche Therapie.
Auf dem Pferdekörper befinden sich über 400 Akupunkturpunkte. Sie können auf verschiedene Arten stimuliert werden; üblicherweise geschieht dies durch den Einstich von speziellen Akupunkturnadeln.
Die Akupunktur ist eine jahrtausendealte Heilmethode und Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Sie ist eine energetische Therapie, das bedeutet: Sie beeinflusst das Lebewesen auf seiner Energieebene. Durch den Heilimpuls wird der Organismus dazu veranlasst, sein energetisches Gleichgewicht wiederzuerlangen.
Anders als die westliche Schulmedizin
Die TCM unterscheidet sich von der westlichen Schulmedizin durch eine völlig andere Sichtweise. Tief verankert in der Philosophie und Logik einer uns fremden Zivilisation hat sie eine andere Auffassung von Körper, Gesundheit und Krankheit entwickelt.
Ein Beispiel: Wenn ein Tierarzt hierzulande bei fünf Pferden mit dickem Bein zur gleichen Diagnose „Phlegmone vorne rechts“ kommt, wird er alle Tiere gleich behandeln (etwa Angussverband, Entzündungshemmer).
Dagegen wird ein Akupunkteur für jeden einzelnen Patienten eine individuelle Punkteauswahl treffen. Bei Anwendung dieser ganzheitlichen Heilmethode zählt für ihn auch vieles, was für den Schulmediziner in diesem Fall komplett ohne Belang wäre (siehe unten: „Das wird beurteilt“): So macht es einen Unterschied, ob ein träges, verfressenes Pferd mit etwas dünnem Kot oder ein hypernervöses, zierliches Pferd mit unregelmäßigem Puls ein dickes Bein hat.
Energie und Einklang
Für die Chinesen ist „Qi“ die allem Lebendigen innewohnende Lebenskraft der Natur. Diese Lebensenergie Qi fließt in einem Netzwerk von Leitbahnen (Meridiane) durch den Körper. Bei einem gesunden Lebewesen ist dieser Fluss harmonisch: Körper und Psyche stehen miteinander und mit ihrer Umgebung im Einklang.
Bei Krankheit entsteht ein Ungleichgewicht, Qi-Fluss-Störungen treten auf. Nicht nur die Meridiane können betroffen sein, sondern auch Funktionen innerer Organe. Auch die Balance von „Yin“ und „Yang“ kann gestört sein. Yin und Yang sind gegensätzliche, sich bedingende und ergänzende Eigenschaften, die als Bestandteil der östlichen Weltanschauung auch den gesamten Organismus charakterisieren: zum Beispiel kalt/warm, unten/oben, Ruhe/Aktivität.
Auch Einfluss auf die Psyche
Der Akupunkteur kann ein harmonisches Gleichgewicht wieder herstellen, indem er mithilfe der Nadeln das Qi beeinflusst. Er leitet krankmachende Faktoren (Hitze, Wind, Kälte oder Nässe) aus und stimuliert die körpereigene Abwehr.
Auch auf die Psyche kann er regulierend einwirken, wenn Verhaltensänderungen vorliegen (etwa plötzliche Wut oder extreme Ängstlichkeit) oder übermäßige Emotionen krank gemacht haben (etwa Trauer, Frustration, Depression).
Viele Möglichkeiten, aber auch Grenzen
Die Akupunktur gehört zu den Regulationstherapien. Sie kann funktionelle Störungen heilen, das bedeutet: Ihr Einsatz ist vor allem dann sinnvoll, wenn der Organismus seine Aufgaben nicht vollständig oder nicht richtig erfüllt.
Ist bereits die Struktur eines Organs oder Gewebes zerstört, also dessen Anatomie pathologisch verändert, so stößt die Akupunktur an ihre Grenzen. In diesem Fall kann sie die Selbstheilungskräfte des Körpers fördern und Schmerzen lindern, jedoch nicht mehr heilen. So kann eine Allergie durch Akupunktur komplett verschwinden. Bei Arthrosen hingegen wird der Knochenzuwachs am Gelenk nicht abgebaut, es können jedoch Schmerzen gelindert werden. Eine angerissene Sehne braucht immer Zeit und richtiges Management für ihre Reparation, bei der trotzdem nie wieder das gleiche Gewebe entsteht wie vorher, auch nicht durch Akupunktur. Sie kann dem Körper jedoch helfen, „sein Bestmögliches zu tun“.
Zur Vorbeugung einsetzen
Funktionelle Störungen können auf Grundlage der TCM sehr frühzeitig erkannt und behandelt werden. Daher ist ein wichtiges Aufgabengebiet der Akupunktur die Vorbeugung von Krankheiten. Dazu wird sie leider bisher erst selten eingesetzt.
Die Anwendungsgebiete sind vielfältig:
- Störungen des Atmungstraktes (bei chronischen Hustern, COPD),
- Störungen des Magendarmtraktes (schlechte Futterverwertung, Durchfall, nicht-chirurgische Fälle von Kolik, rezidivierende Koliken),
- Fruchtbarkeitsstörungen (wenn ein Hengst nicht decken will, eine Stute nicht rosst),
- Störungen des Bewegungsapparates (funktionelle Lahmheiten, begleitende Therapie bei Hufrollenentzündung, Spat, Hufrehe),
- Muskelverspannungen, Rückenschmerzen (Ursachenforschung nicht vergessen),
- Allergien, Stoffwechselprobleme (bei Juckreiz, Ekzem, Hautausschlag, Fellveränderung),
- Verhaltensänderung, psychische Störungen (bei manchen Headshakern; bei übermäßiger Angst oder Wut, Hysterie, Frustration),
- Immunstimulation,
- Leistungsoptimierung,
- Gesunderhaltung,
- schulmedizinisch nicht diagnostizierbare beziehungsweise austherapierte Fälle von Lahmheit, Schmerzen, Durchfall, Abmagerung, Schwäche und anderes.
Die Behandlung
Es gibt unterschiedliche Methoden und Techniken der Akupunktur. In der Regel werden zwischen einer und zehn Nadeln eingesetzt. Es gibt sie in verschiedenen Längen, Stärken und Materialien. Die Nadeln verbleiben etwa zehn bis vierzig Minuten. Meist tolerieren die Pferde die Behandlung sehr gut und entspannen sich.
Dient die Anwendung nicht nur der Gesunderhaltung, sind meist mehrere Sitzungen notwendig im Abstand von einer bis drei Wochen. Oft gilt: Je länger die Krankheit besteht, umso mehr Behandlungen sind nötig.
Oft eine gute Ergänzung
Optimal für den Patienten ist der Einsatz begleitend und ergänzend zu den Möglichkeiten der Schulmedizin und nicht als alleinige Alternative. In Notfällen und bei schwerer Erkrankung (beispielsweise Kolik) muss zuerst der Tierarzt hinzugezogen werden. Bei einem Akupunkteur, der selbst kein Tierarzt ist, kann sonst die Gefahr bestehen, die Möglichkeiten der Schulmedizin zu verkennen und so wertvolle Zeit zu verlieren. Auch bei Lahmheiten ist es sinnvoll, zuerst eine schulmedizinische Diagnose stellen zu lassen, um sicher zu gehen, dass kein zerstörtes Gewebe ursächlich ist.
Was der Pferdebesitzer tun kann
Nach erfolgter Akupunkturbehandlung kann der Besitzer sein Pferd meist gut unterstützen, indem er durch die Akupressur bestimmter Punkte eine länger andauernde Wirkung erzielt. Die jeweils sinnvolle Auswahl der Punkte sollte mit dem Therapeuten abgesprochen werden. Mit leichtem Druck wird die Haut über dem Punkt etwa eine Minute lang kreisend massiert.
Ist man in der Lage, sein Pferd einem bestimmten Typus zuzuordnen (siehe unten: „Welcher Typ ist Ihr Pferd?“), lässt sich die Akupressur auch hervorragend zur Vorbeuge einsetzen. Denn bei Pferden eines bestimmten Typs bestehen oft Anfälligkeiten für bestimmte Erkrankungen.
Infokasten
Welcher Typ ist Ihr Pferd?
Die Besonderheiten der Pferdekonstitutionstypen in Anlehnung an die Betrachtungsweise der TCM:
– Shen (Nieren-) Typ: helle Schleimhäute, kleine feste Zunge, sensibel, ängstlich, unsicher, übereifrige Lernbereitschaft, bringt Lektionen durcheinander, rangniedrig, auf den Menschen bezogen, kälteempfindlich, anfällig für Atemwegsinfektionen im Winter, neigt zu Zahn/Maulproblemen.
– Gan (Leber-) Typ: athletische Statur, rote Schleimhäute, fest geschlossene angespannte Maulspalte, mutig, unerschrocken, leistungsfähig, gutes Gedächtnis, dominant, ärgert sich leicht, launisch, widersetzlich, ranghoch, anfällig für Bindehautentzündungen, neigt zu Muskelverspannungen/Gurtzwang.
– Pi (Milz-) Typ: feuchte Schleimhäute, weiches Maul mit hängender Unterlippe, große schlappe Zunge, brav, ausgeglichen, eher träge, verfressen, guter Futterverwerter, lernt langsam, Verlasspferd, neigt zu Übergewicht und angelaufenen Beinen.
– Fei (Lungen-) Typ: trockene Schleimhäute, wenig Muskulatur, trockene Gelenke, zuverlässig, arbeitsfreudig, leistungsbereit, selbstsicher, klug, sachlich, neigt zu Kurzatmigkeit, anfällig für Haut- und Lungenprobleme.
– Xin (Herz-) Typ: bläulicher Schimmer auf der Schleimhaut, mancher kernig und ausgelassen, mancher ruhig und unauffällig, im Normalzustand lieb, freundlich und eher unsensibel, aber unberechenbare plötzliche Erregungszustände bis hin zu panikartiger Hysterie, neigt zum Nachschwitzen.
Das wird beurteilt
– Statur (muskulös, zierlich …)
– Charakter (freundlich, distanziert, ängstlich, ehrgeizig …)
– Verhalten (ranghoch/-niedrig, kooperativ, widersetzlich …)
– Haltung/ Fütterung
– Historie (Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten/ bei speziellen Wetterlagen …)
– Puls (schwach, pochend, drahtig, ölig …)
– Schleimhäute (blass, gerötet, trocken …)
– Zunge (lokale Rötungen, Menge/Art des Belages, geschwollen …)
– Menge/Art von Ausscheidungen (Kot, Urin, Schweiß, Nasenausfluß, Speichel …)
– Haut/ Haarkleid (auch Narben, haarlosen Stellen)
– Empfindlichkeit von Akupunkturpunkten und Konsistenz des Gewebes (Delle, Verhärtung?)
– Empfindlichkeit und Beschaffenheit der Meridiane (Qi-Stau/Qi-Mangel?)